
Karfreitag bedeutet vielerorts: Tanzverbot für alle Christen und Nicht-Christen. Dabei ist ja eigentlich schon Samstag. Um kurz vor drei am Steintor labern mich besoffene Typen an, auf Deutsch und auf Englisch. Es sind überwiegend Männer unterwegs, o Wunder. Was ebenfalls zu erwarten war: Dass alle blöd gucken wegen des Notizblocks, auf den ich kritzele.
„Die Hell’s Angels haben es hier wirklich besser gemacht“
Die Leute haben frei und wollen feiern gehen, aber die Clubbesitzer müssen heute dafür sorgen, dass es nicht zu laut wird. Ingo Gembalies, dem zwei Kneipen am Steintor gehören, findet das natürlich ätzend. „Alle schimpfen über den Islam, aber das Christentum und die Kirche greifen doch auch ins Privatleben des Bürgers ein!“, beschwert er sich. „Meinetwegen können die Leute ja einen besinnlichen Tag haben… zu Hause.“ Dass es am Steintor nicht besinnlich zugehe, sei doch verständlich. Gembalies und seine Kollegen machen heute Verluste.
Die Kneipen Heartbreak Hotel und Rocker stehen gleich nebeneinander. Sie gehören beide Ingo Gembalies. Rocker, das ist so ein Laden, der damit beworben wird, dass Frauen kostenlose Drinks bekommen, wenn sie ihr Oberteil ausziehen. Der Übergang von Partyszene zu Rotlicht ist fließend, wie auf der Reeperbahn. Als Gembalies, der mit seinen schulterlangen Zausellocken mehr einem Hippie als einem Rocker ähnelt, im Jahr 2000 seine erste Kneipe am Steintor eröffnete, war das Rotlichtmillieu noch viel stärker vertreten. Frauen mussten zum Taxi begleitet werden, konnten nicht einfach so über die Straße laufen wie ich heute, erzählt Gembalies. „Die Hell’s Angels haben es hier wirklich besser gemacht“, findet er.
Gembalies hat mich bereits in einer E-Mail darüber informiert, dass „Türsteher“ zwar eine gängige, aber eher abfällige Formulierung sei, darum versuche ich krampfhaft, sie entgegen meiner Gewohnheit zu umgehen. Viele Leute haben Vorurteile gegenüber dem Sicherheitspersonal, dass die Einlasskontrolle macht. Warum eigentlich? Gembalies weiß es auch nicht. Darum frage ich direkt bei der Security nach. Genauer: Beim Chef der Steintor-Security.
K. hat ein freundliches Gesicht, mal abgesehen von den blauen Flecken…
Security-Personal stellt man sich meistens so vor: Bullig, wortkarg, abgestumpft, endlos genervt, das „Hau bloß ab“ ins Gesicht geschrieben. Eduard K. entspricht diesem Klischee überhaupt nicht. Er hat eine ruhige Art und ein freundliches Gesicht, mal abgesehen von den blauen Flecken, die aussehen, als seien sie schon länger da, ohne zu verblassen. K. sagt oft so etwas wie: „Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden.“ Und er weiß genau, warum einige Leute Probleme mit Einlasskontrolleuren vor Clubs haben: „Ganz einfach, weil sie nicht reinkommen.“ Diese Leute würden spätestens dann ausfallend und aggressiv und am Ende sei natürlich immer die Security schuld.
Eduard K. ist durch den Vorschlag eines Freundes zu seinem Beruf gekommen und arbeitet nun schon 27 Jahre im Sicherheitsdienst. Jeder Club am Steintor hat sein eigenes Sicherheitspersonal. Bei den kleinen Clubs steht einer, bei den größeren sind es zwei bis vier Typen. Sie sind alle über Funkgeräte verbunden, damit sie schnell Verstärkung anfordern können. Eduard K. teilt die Funkgeräte vor Schichtbeginn aus, sorgt für die richtige Koordination. Sein Arbeitstag beginnt um 21:30 Uhr und endet morgens, so gegen 8, 9, eher 10 Uhr.
Obwohl schon vor der Tür selektiert wird, müssen pro Abend ungefähr drei bis fünf Leute rausgeschmissen werden. Einmal, erzählt K., waren vier Mann nötig, um ein Mädchen von vielleicht 50 Kilogramm festzuhalten, weil sie völlig ausflippte. „Da sieht man, was Drogen mit einem anrichten. Kann man jeden nur vor warnen“, mahnt K. mit seiner geduldigen Stimme. Wenn man jemanden gar nicht mehr los wird, muss die Polizei eingeschaltet werden. Schläger werden „fixiert“, also festgehalten oder – das kann auch schon mal vorkommen – auf einer Trage festgeschnallt.
Alle Security-Leute wissen genau, dass sie die Leute nur festhalten und nicht schlagen dürfen. Wenn sie zurückschlagen, dann in besonders schweren Fällen und nur in Notwehr. „Aber dann kann man damit rechnen, dass einen mindestens einer anzeigt.“ Ungläubig schüttelt K. den Kopf. „Wir sind dann natürlich immer die Bösen.“ Er sei sogar schon beschuldigt worden, jemanden geschlagen zu haben, als er gar nicht vor Ort war. In solchen Situationen ist K. „froh, dass es die Kameras gibt“. Es sind auch schon Leute mit Flaschen auf ihn losgegangen. „Menschen sind unberechenbar“, sagt K.
Die Sache mit der Präsenz
Eine junge, angetrunkene Frau gesellt sich zu uns und pustet den Rauch ihrer Zigarette in unsere Richtung. Eduard K. bittet sie höflich, woanders hinzugehen, um das Gespräch nicht zu stören. „Warum?“, fragt sie. „Was ist denn? Wir können uns doch alle zusammen unterhalten!“ Sie meint es offensichtlich nicht böse, hier liegt nur ein klassisches Verständnisproblem zwischen Betrunkenen und Nüchternen vor. Nach einigem Hin und Her schwirrt sie beleidigt ab und sagt im Gehen noch abfällig: „Wow, das ist echt crazy mit euch Türstehern!“
K. rollt mit den Augen. „Warum?“, beziehungsweise „Why?“ sei die häufigste Frage, die er in seinem Beruf zu hören bekomme. „Viele sagen auch ‚Was? Ich bin doch nicht betrunken!‘, müssen sich dabei aber am Türrahmen festhalten.“
Bevor die Hell’s Angels das Steintorviertel auf ihre Weise „befriedeten“, gab es häufig Messerstechereien. Seit Frank Hanebuth in Spanien im Gefängnis sitzt, wird es wieder etwas schlimmer, findet K. Er selbst habe mit den Hell’s Angels nichts am Hut, aber es sei schon auffällig, dass vor dem „Sansibar“ wieder vermehrt Leute mit Alkohol- oder Drogenproblem herumhängen. Die Hell’s Angels müssten ja auch gar nichts tun, es gehe um die Präsenz.
Apropos Präsenz: Mit der Polizei ist das auch so eine Sache. Die Beamten fahren Streife, aber nur um Präsenz zu zeigen. „Wenn du sie brauchst, sind sie nicht da“, sagt K. Seine Schlichter-Kompetenz schaltet sich aber sofort wieder ein, und er fügt hinzu: „Die haben ja auch viele andere Einsatzorte.“
„Ich hätte lieber mit fünf Kerlen Ärger als mit einer Frau, die richtig ausrastet.“
Eine kurze Funkmeldung, K. läuft zum „Eve Klub“ hinüber. Wenig später ist er wieder zurück. Kein Ärger. Er kennt das Sicherheitspersonal beim Namen, lässt sich kurz von einem Kollegen vertreten, damit er weiterreden kann. Heute ist ein ruhiger Tag, da geht das. K. betont: „Ob die Läden hier die Hell’s Angels supporten, das weiß ich nicht. Es ist mir auch nicht wichtig. Das soll jeder selber entscheiden.“
Aber wie kann er so etwas als Security-Chef nicht wissen (wollen)? Die „81“-Symbole in den Clubs und Kneipen sind ihm doch sicherlich schon aufgefallen. Die Zahl 81 steht für die Reihenfolge der Buchstaben „H“ und „A“ im Alphabet. Hell’s Angels. „Ich weiß nicht, ob man das Support nennen kann“, grübelt K. Doch warum sonst sollten Clubbetreiber damit werben? „Die Gäste fragen danach“, kommt K.s überraschende Antwort. „Die wollen Merchandise. Das ist ein Trend, eine Mode. Die wollen auch so ein Bier mit dem Symbol. Egal, ob das schmeckt. Kein Ahnung, ob das schmeckt, ich trinke kein Bier. Das ist wie Austern essen. Reiche Leute essen Austern, egal, ob’s schmeckt.“
Die betrunkene Frau von eben wankt vorbei. Eduard K. guckt leicht genervt. „Frauen sind die Schlimmsten, die wirst du auch nicht los!“ Er lacht. Manchmal, wenn eine Frau gar nicht weggehen wolle, müsse er die Polizei rufen. Die Beamten würden der Dame dann einen Platzverweis erteilen. Manche finden sich betrunken nämlich total süß und erwarten, dass man sie einfach lieben muss, egal, wie sie sich benehmen. „Wenn Frauen betrunken herumpöbeln, dann kratzen und beißen sie auch. Ich hätte lieber mit fünf Kerlen Ärger als mit einer Frau, die richtig ausrastet.“
Clubbesitzer Gembalies verabschiedet sich. Er möchte heute nicht die ganze Nacht bleiben. Als er sich auf den Weg macht, nickt K. in Richtung Einkaufsstraße und sagt: „Wir haben schon Anfragen von Dönerbuden und Friseurläden bekommen. Die müssen sich jetzt auch um Security kümmern, weil vor ihren Geschäften Drogen verkauft oder genommen werden. Eigentlich ist das ein bisschen schade. Das gab’s hier früher nicht.“ Mit „früher“ meint K. die Zeit, als Hanebuth noch in Hannover und der Chef am Steintor war.
Die Hell’s Angels werden hier nicht nur toleriert, man scheint ihnen geradezu dankbar zu sein. K. muss jetzt wieder los. Die Frage, ob einer Organisation, der unter anderem Menschenhandel vorgeworfen wird, wirklich so viel Respekt gebührt, wie Club-Angestellte und -Gäste ihr entgegenbringen, bleibt leider vorerst unbeantwortet.

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