Reisejournal: „Paris muss man sich leisten können.“

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Was man in Paris machen kann, wenn man broke ist: An der Seine entlangspazieren, in Museen gehen (die kleineren, nicht die Touristen-Magneten) und jeden Tag Baguette fressen. Ich habe es auf meiner Reise geschafft, einen Flug zu verpassen, mein Notebook zu schrotten (geiles Timing, gerade erst ein neues Digitalabo meiner Lieblingszeitung gekauft) und überhaupt war es sehr chaotisch. Aber ich bin auch beruhigt, dass ich noch ohne Computer leben kann… na ja, fast, irgendwie muss ich ja meine Texte abtippen und rumschicken. Außerdem machen sich Menschen, die mit kleinen Hartschalenrollkoffern herumreisen und „shoppen“ als Hobby bezeichnen, einfach nur lächerlich, wenn sie dann abfeiern wie salonlinks oder „street“ sie doch sind. Auf dem Bild, das F. mit ihrem Schrotthandy gemacht hat, sieht man eine Möchtegernautorin, die sich stilecht vorm Schaufenster einer Dior-Botique mit italienischem Rotwein aus dem Duty Free-Shop betrinkt.

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Paris wird, genau wie Venezia, romantisiert und ausverkauft bis zur lächerlichen Überzeichung. Draußen schlafen Flüchtlinge auf gammligen Matratzen, mitten auf den großen Plätzen und vor Denkmälern, an denen nach den Terroranschlägen Kerzen, Karten und Blumen niedergelegt wurden. Es wirkt absurd, wie diese Leute in zerfetzter Kleidung zwischen Dekoration in den Farben der französischen Flagge sitzen und uns Touristinnen „Nice, nice, nice“ hinterherrufen, um uns zu verarschen. Ich frage meine Begleitung, warum die Leute übrhaupt obdachlos sind, H. sagt: „Die wollen das so.“ Für Ende Dezember ist es ungewöhnlich warm und da pennt man lieber unter freiem Himmel, als in einem überfüllten Flüchtlingsheim. Ich frage H., warum die Regierung da nichts unternehmen kann und sie sagt, es ginge nicht wirklich ums Können, sondern ums Wollen.

Das creepy richbitch Baby
Gut betucht, schon als (fies guckendes Horror-)Baby.

Mein neuer Lieblingsbuchladen hat geschlossen, H. und F. sind im Museum, also spaziere ich die Seine entlang. Ein Typ fragt, ob er mich malen dürfe und wo ich herkäme. Ich antworte „Nein danke“ und „Europa“, gehe weiter. Er läuft mit. Als er weitere Fragen stellt, erkläre ich ihm, dass ich gerne alleine wäre. In Italien kapiert das auch keiner. Alleine sein wollen, das ist in manchen Kulturen irgendwie schräg. Es gilt als sehr unhöflich. Man sagt dann eher: „Ich bin woanders eingeladen.“ H. kann irgendwie besser mit Menschen. Sie lernt besoffen Leute im Bus kennen, hat Freunde, die auf einem Hausboot leben, und geht irgendwie mit jedem aus. Seit sich einer ihrer Bekannten als Psycho, oder eher: Macho mit verletzten Stolz, entpuppt hat, rate ich ihr, nicht zu allem und jedem Ja und Amen zu sagen. Wie man stur Nein sagt und auch dabei bleibt, muss sie noch ein bisschen üben. Paris ist wahrscheinlich der beste Ort dafür, denke ich, als ich weiter die Seine entlangspaziere. Da gibt es Typen, die sagen, sie würden erst weggehen, wenn ich sie küsse. Wie erbärmlich. Oder, wenn sie kein Englisch sprechen, dann rufen sie nur: „Boyfriend? Boyfriend?“ Zum Glück hat mich die Zeit in Bologna bereits gut darauf vorbereitet. Die Italiener finden vor allem meine blauen Augen exotisch und fragen ohne Umschweife, ob ich eine „storia“, also eine „Geschichte“ mit wem anders hätte. Als sei das der einzige Grund, nicht mit ihnen ausgehen zu wollen. Vorher habe ich noch diskutiert oder irgendwen erfunden, der angeblich ganz Nähe auf mich wartet. Doch jetzt antworte ich nur noch: „I’m not looking for a boyfriend right now.“ Dieses Gelaber über aufdringliche Nordafrikaner nervt mich. Manche gebürtigen Einwohner Frankreichs oder Italiens sind doch keinen Deut besser.

Moderne Kunst Paris Haarknödel
Ich verstehe moderne Kunst einfach nicht. Und warum Menschen freiwillig mit dieser Teletubbie-Knödel-Frisur vor die Tür gehen.

Am Weihnachtsmorgen sitzen H., F. und ich in dem winzigkleinen Zimmer beim Brunch zusammen und genießen einfach das Leben. Gester Nacht war die Stadt fast leer. Mir ist aufgefallen, dass man auch in den überfülltesten Touristenstädten Ecken finden kann, in denen es ganz ruhig ist, auch mitten in der Feriensaison. Das Besondere an Paris ist aber der Kulturmix. In der Metro versuche ich echt, nicht so zu starren, aber als Dorfkind habe ich noch nie eine Afrikanerin mit blonden Haaren oder einen Europäer mit Afro gesehen. Wenn so jemand dann noch einen indischen Sari zu Hipstersocken trägt und sich ’nen Döner reinhaut, muss ich mir vorstellen, wie einem Pegida-Typen bei dem Anblick der Kopf explodiert… und dann grinse ich so dumm vor mich hin.

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Die Ärmsten im Bonzenviertel zu sein, ist nicht so schlimm. Schon gar nicht bei dieser Aussicht im 6. Stock, gleich unterm Dach. Die Besenkammern können schon mal 600€ kosten. „Hier machen viele Überstunden“, sagt H. „Paris muss man sich halt leisten können“

Am 27. Dezember reise ich mit dem Zug ab. Die Kontrollen sind mittlerweile so krass wie am Flughafen: Außer dem Bahnhofpersonal, der Polizei und der Security darf niemand das Gleis betreten, ohne vorher gescannt und durchsucht zu werden. Polizisten durchsuchen auch den Zug. Es geht durch drei Länder und die Ansagen werden in vier Spachen gemacht, aber das bin ich mittlerweile gewohnt. Nein, nicht gewohnt: Ich finde das richtig gut. Auch wenn kulturelles Beieinander und Durcheinander ab und zu verwirrend ist. Ich sage dann so Sachen wie: „Ciao, I’ll have a thè verde, por favor, merci.“

 

Mehr Reise-Artikel unter den Tags oder Kategorien Paris, Venezia/Venedig, Bologna usw. oder hier: Wie wir einmal mitten im Winter durch England trampten, um Julian Assange von Wikileaks zu sehen.

 

 

 

Eine Antwort zu „Reisejournal: „Paris muss man sich leisten können.“”.

  1. […] who where projecting their own insecurities on me. One of my German-language articles about being broke af and in Paris was commented on by a random troll who called me a „sexless whore“ (whatever that is […]

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