Optimismus nach dem Brexit

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Bücher aus London. Nach dem Brexit gilt eher: Keep calm… but don’t go on like before.

Nach dem Brexit-Referendum geiern nun fast alle linken EU-Freunde darauf, dass dieses Referendum entweder wiederholt oder über Umwege für ungültig erklärt wird. Das ist nicht besonders demokratisch, aber es zeigt sehr schön, warum direkte Demokratie nicht funktioniert.

Referenden sind gefährlich, wenn Rechtspopulisten Fakten verdrehen und das Volk den Unsinn glaubt. Jeder Depp ohne den geringsten politischen Durchblick darf wählen, das hat schon Platon an der direkten Demokratie kritisiert. Es ist, als würde man jedem Deppen ohne geringsten medizinischen Durchblick ein Skalpell in die Hand geben und sagen: Mach mal, ich vertraue dir. Premierminister Cameron hat das gemacht. Er hat für seine politische Strategie auf den gesunden Menschenverstand der britischen Bevölkerung vertraut. Und was hat es gebracht? Dass der Mann heulen musste. (Behauptet zumindest eine hier näher bezeichnete Quelle, Der Spiegel: David Cameron soll nach Rücktrittsankündigung geweint haben.) Ich persönlich finde das Ergebnis des Referendums auch zum Heulen, weil es einen Meilenstein in der Rückentwicklung Europas zum Nationalismus darstellt.

Aber ich halte es für verlogen, einen auf demokratisch zu machen und dann das Referendum anfechten zu wollen. Akzeptiert den Fakt, dass die Fehlentscheidungen von Idioten auch immer euer eigenes Leben negativ beeinflussen werden. Statt das Ergebnis nicht anzuerkennen, habe ich einen anderen Vorschlag:

Wozu den Brexit verhindern, wenn die EU jetzt dafür sorgen kann, dass die negativen Folgen nicht erst in zwei Jahren, sondern sofort und mit aller Deutlichkeit spürbar werden? Martin Schulz weiß schon, wie man England zeigt, dass der Brexit ein wirtschaftlicher und sozialer Schuss ins Knie war. Die EU sollte Nationalismus und Separatismus keine Chance geben, außer, es handelt sich um Schottland und Irland. Denn die Bürger dieser Länder haben zum Großteil gegen den Brexit gestimmt. „Scotland did not let you down“, sagte Alyn Smith, Mitglied der Schottischen Nationalpartei und des Europäischen Parlaments (Fraktion: Grüne) Und er bat die EU: „Please do not let Scotland down now.“

Wenn die Völker Schottlands und Irlands in der EU bleiben wollen, dann sollten sich diese Länder endlich von England unabhängig machen und selbst der EU beitreten. Das war es dann mit Großbritannien. Wenn England ein paar Jahre später wieder angekrochen kommt, wird das Land wenigstens wieder demokratisch den Beitritt wählen. Menschen machen Fehler und sie hören auf die Leute, die ihnen einfache Lösungen versprechen. Wenn Schottland, Irland und England der EU in ein paar Jahren einzeln beitreten, hat die EU neue Kräfte dazugewonnen; das Alleingänger-Extrawürstchen Großbritannien gäbe es nicht mehr. Die EU würde so vielleicht neue PolitikerInnen dazugewinnen, die durch den Brexit gelernt haben, dass Nationalismus in einer globalisierten Welt keinen Sinn macht.

Selbstständig, aber trotzdem vereint, war das nicht das ursprüngliche Konzept der Staatenunion? Wie in einer guten Liebesbeziehung: Überzeugungen, Meinungen und die eigene Kultur kann und soll man mit einbringen, sonst wäre es ja langweilig, so ganz ohne Dialog, und man würde sich bloß stillschweigend dem Gegenüber anpassen. Aber als Verfechter der Individualität muss man auch nicht stur auf jeder Einzelheit beharren, nur, um am Ende die Meinungshoheit zu haben.

Weniger Mimimimi und mehr Demokratie, bevorzugt auf einer soliden Grundlage bestehend aus politischer Bildung, Toleranz und diesem Dings, gesunden Menschenverstand. Aber dem ist ja, wie gesagt, nicht so ganz zu trauen.

Bis zum Breturn freue ich mich schon mal darauf, Schottland in der EU begrüßen zu dürfen, denn es sieht ganz danach aus, als würden die Schotten die ersten sein, die mit dem Brexit nichts mehr zu tun haben wollen und dies auf demokratische Weise durchsetzen werden. Also: Willkommen im Club, Schottland. Der Club ist nicht perfekt, manchmal sogar scheiße. Aber die Grundidee ist super.

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