Iran Reisejournal- Teil 1: Teheran

Vom Bordstein zur Skyline… nee Spaß, ersaufe immer noch in Bafög-Schulden :D

 

Bei jedem Umzug werden es mehr Kisten voller Notizbücher und jedes Mal frage ich mich, warum ich mir das eigentlich antue. Genau dann, wenn ich es mit den Journalen endgültig sein lassen will, kommt aber ein neuer Schreibauftrag. Dieses Jahr reise ich zum ersten Mal in die Islamische Republik Iran und wurde im Vorfeld von einigen Leuten gebeten, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Einen Zeitungsartikel hatte ich auch schon fertig, habe aus Gründen des Quellenschutzes allerdings eine Veröffentlichung blockiert, da die “Art Direction” Porträtfotos von einem anonymen Interviewpartner forderte. Wenn Menschen den Mut haben, mit AutorInnen / JournalistInnen offen und ehrlich über Missstände zu sprechen, die ein Regime totschweigt, soll man sie dann etwa aus Geldgier ins Messer laufen lassen? Ich werde mich also auf Fotos beschränken, mit denen die Porträtierten einverstanden sind und kürze Namen ab.

Seit genau einer Woche bin ich jetzt im Iran. F. und ich flogen via Moskau nach Teheran, seine Heimatstadt.

Meme-Level über 9000: Souvenirs aus Moskau.

 

1./2. TAG

Ansagen auf Russisch, Chinesisch, Englisch. Die vor uns im Flugzeug sind Moslems und sprechen Deutsch, F. wechselt aus Paranoia vor Regierungsspitzeln zu Italienisch und ich lerne Persisch mit einem Podcast. Manche Frauen tragen Hejab, das muslimische Kopftuch, und Manto, einen langen, dünnen Cardigan, der den Körper verdeckt. Andere, vor allem die jüngeren Frauen, kramen erst dann genervt nach einem Schal, als das Flugzeug in Teheran landet. Ab jetzt gilt nämlich Kopftuchpflicht. M. und B. holen uns vom Flughafen ab und haben einen riesigen Strauß seidenschimmernder Blumen mitgebracht. Ich habe den Rotwein problemlos durch die Kontrollen gekriegt. Trotz Jetlag und allgemeiner Müdigkeit – Ortszeit: 4 Uhr früh – reden wir bis zum Sonnenaufgang und tauschen Geschenke aus. Geschenke sind in der iranischen Gast(geber)kultur sehr wichtig. IranerInnen bieten einem aus extremer Höflichkeit (= Tarof) auch noch ihr letztes Hemd an, wenn sie sonst nichts haben.

Mittags erwache ich von dem Gesang des Muezzins, der über Lautsprecher draußen zum Gebet ruft. Ich bin auf einem der handgeknüpften Perserteppiche eingepennt. Als ich den Vorhang beiseiteschiebe, bietet sich mir ein Anblick wie aus Star Wars: Glitzernde Wolkenkratzer, sandige Hügel und Berge, in der Ferne erkennt man den Dschungel und einen Park mit Wasserfall. M. und B. haben sich früher ein Zimmer mit der ganzen Familie geteilt; für die prunkvolle Wohnung im Tower haben sie hart gearbeitet. Stolz zeigen sie mir die selbst installierten LEDs und Kronleuchter.

Natürlich liegen in jedem Zimmer Perserteppiche und die vielen Spiegel an den Wänden stehen in der iranischen Kultur nicht für Eitelkeit, sondern Licht. Teheran ist die Stadt der Lichter… und der Lichtverschmutzung. Die Stadt strahlt einem schon entgegen, wenn man noch durchs Flugzeugfenster schaut; sie wirkt endlos und auch angeberisch mit ihrer jederzeit festlichen Beleuchtung. Energie wird verschwendet, als würden die Ölquellen des Landes nie versiegen. Auffällig sind auch die zahlreichen neuen und unfertigen Gebäude. Teheran wächst und wächst, ist mit seinen Regionen schon längst größer als Berlin.

Konservatives Einkaufszentrum in der Hauptstadt. (Wie immer: Handyfoto-Quali ohne Bearbeitung, außer zur Anonymisierung.)

Am Abend gehen wir in ein Einkaufzentrum, das (wie so viele andere Gebäude) der Militärpolizei Sepah gehört. Hier sind die meisten Frauen in Chadors gehüllt: blickdichte, meistens schwarze lange Mäntel mitsamt Kopftuch. Heute ist Mittwoch, White Wednesday also, der von Masih Alinejad ins Leben gerufene Protesttag gegen Kopftuchzwang. Verschwörerisch lächeln mir diejenigen Frauen zu, die ein weißes Kopftuch tragen wie ich. M. kauft mir Leggins und Mäntel, weil mein Kimono als zu kurz gilt und alle schon neugierig bis empört (Neudeutsch: getriggert) gucken. Wenigstens lässt sich der Stil gut mit meinem Gruftielook vereinbaren. Im Laden lästert die Verkäuferin über Chador-Trägerinnen, die kein Deo oder Parfüm benutzen und im, 30°C bis 50 °C (!) heißen August natürlich übel nach Schweiß müffeln. „Ich trage ja nur Chador, weil es hier auf der Arbeit die Kleidungsvorschrift der Sepah ist“, sagt sie. Als sie hört, dass ich Ausländerin bin, ist sie ganz entzückt. Religionsführung und Regierung machen es TouristInnen schwer, das Land zu bereisen, wollen den Kulturmix verhindern und haben berechtigte Furcht vor der Demoralisierung durch westlich-liberale Einflüsse. Als Nicht-Iranerin falle ich also auf wie ein bunter Hund.

Traditionsgemäß wünschen mir alle, denen ich begegne, „gesunde Kinder“, weil ich verlobt bin. Das überhöre ich aber schon bald. Gewöhnungsbedürftig finde ich eher die Kniebeugen-Klos (Sport statt sitzen, so läuft das hier) und die Tatsache, dass Fresh Dumbledores Konterfei immer zugegen ist. Er muss sich für einen richtig sexy Typen halten, wenn er überall Bilder von sich anbringen lässt.

Sicher keine Narzissten: Anführer der islamischen Revolutionsgarden Chomenei und sein Nachfolger Chamenei bzw. Big Brother und Fresh Dumbledore.

 

 

Im nächsten Teil: Schlepper, Tiere, Sensationen! Reise in den Norden des Landes ans Kaspische Meer. Ein Fernsehkanal nur für Visums-Teleshopping. Verbotene, aber dafür sehr fluffige Hunde. Mehr Kopftuchstress und wie Iran das Meer in Männerschwimmen / Lesbenparadies einteilt.

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