

Gleich zwei Freundinnen haben mir eine Eintrittskarte für die Lesungen meiner österreichischen Lieblingsautorinnen geschenkt. H.G. für Hannover und A.P. für Köln (im Befehlston: „MK, du musst Ende April in Köln sein, weil ich schon die Karte hab!“ ).
Puneh Ansari ist eine Wiener Underground-Autorin. Sie schreibt vor allem auf Facebook, wie auch Stefanie Sargnagel. Ansaris Buch Hoffnun‘ ist im Verlag Mikrotext erschienen. Sie schlurft auf die Bühne und liest mit leicht kränkelnder Stimme trocken vom Blatt, Buch oder Handy ab. Am besten kommt beim Publikum ihre Überlegung an, ob sie ein Kind bekommen solle, nur „um einen Tagesablauf zu haben“. Aber tausend Wochen ohne Drogen? Und sich alles aufreißen lassen bei der Geburt? Müsse sie sich da überhaupt schon festlegen, so im zarten Alter von Mitte dreißig? Ansari wirkt zurückhaltend, spricht langsam und bedacht, ihre Hände zittern beim Lesen. Fälschlicherweise könnte man annehmen, sie sei privat ein eher schüchternder Mensch. Dabei kann sie auch rotzbesoffen noch Israel/Palästina-Diskussionen führen und laut Sargnagel auch immer Bahnhof sowie Hotel in irgendeiner fremden Stadt wiederfinden. Den Anmachspruch „Wow, du bist Sozialistin? Ich bin Kommunistin!“ hab ich mir notiert. Stefanie Sargnagel erzählt während der Lesereise unter anderem von der Burschenschaft Hysteria. Weil Sargnagel inzwischen so im Rampenlicht steht, berichtet manch ein Medium, sie habe Hysteria gegründet. Tatsächlich ist sie der Gruppe beigetreten und propagiert nun „das goldene Matriarchat“. Hysteria gilt als feministische Gruppierung. Sargnagel hält das für falsch, denn „bei Feminismus geht es ja um Gleichberechtigung“. Hysteria hingegen möchte Männer schützen und fordert deren Rückzug in den privaten Bereich.
Bekannt geworden ist Sargnagel inmitten der Flüchtlingswelle vor wenigen Jahren, als Österreich wegen der Balkanroute das Durchreiseland für Geflüchtete war. „Links sein ist gerade voll anstregend“ , beschwert sie sich in Statusmeldungen. Ihr war dieses „manchmal Fair Trade – Bananen kaufen“-Links viel lieber. Engagiert hat sie sich trotzdem, wodurch sie auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.
Nach der Lesung in Hannover frage ich Sargnagel beim Signieren, wie sie es im Literaturbetrieb geschafft hat, ohne sich hochzuschlafen. Sie sagt, dass sie mit dem Literaturbetrieb bis vor kurzer Zeit nicht wirklich etwas zu tun gehabt habe. Jahrelang hat sie als Arbeiterkind und Kunststudentin ihren Lebensunterhalt im Callcenter bei der Rufnummernauskunft verdient. Seit der Rowohlt-Verlag „angekrochen“ kam, ist Sargnagel Vollzeit-Autorin und hat nicht mehr diesen Kontakt zum österreischischen Volk, den sie im typischen Dienstleistungsjob hatte. Nazis beleidigen und bedrohen die Autorin wegen ihrer Haltung und weil sie nicht mit ihrem Humor umgehen können. Mit Hass von rechts ist immer zu rechnen, „wenn eine Frau in der Öffentlichkeit intelligent ist“, sagt sie. Vor der Wahl in Österreich hatte sie Norbert Hofers (FPÖ) misogyne Einstellung kritisiert. Bei der FPÖ mögen sie es anscheinend nicht, mit Nazis verglichen zu werden. Seltsam.
In Köln komme ich nach der Lesung mit Puneh Ansari ins Gespräch, die ordentlich einen sitzen hat. Nicht so schlimm wie Clemens Meyer auf dem Prosanova, denn sie schafft es noch zu signieren. Allerdings nimmt sie danach versehentlich mein Buch mit. Ansari lädt meine Begleitung, zwei andere und mich zum Saufen ein. „Frauen müssen sich überhaupt mehr vernetzen“ , lallt sie. Ich finde sie spätestens jetzt ur sympathisch (in Wien sagen alle „ur“ statt „übertrieben“). Zusammen mit Sargnagel und zwei Organisatorinnen sitzen wir auf dem Spielplatz am Club Bahnhof Ehrenfeld wie asi Teenager vom Dorf. Puneh Ansari und ihr Fangirl M. verschwinden im Gebüsch. Alle anderen saufen Bier vom Kiosk und das fiese Fanta-Korn-Gemisch der Organisatorin. Sie sagt, dass sie jetzt eine Agentin hat, die ihr von Margarete Stokowski empfohlen wurde oder so. Stokowskis Kolumne mag ich auch so gerne. Scheiße, irgendwie haben hier alle Connections und ich kann nicht netzwerken. Nur Geld für Bier, Bücher, Notizhefte ausgeben, während es am Nötigsten mangelt. KünstlerInnen geben ihr Geld für Stifte und Koks aus, schreibt Sargnagel, weshalb sie Stipendien brauchen. Sie haben „special needs“.




Wir lästern über Institutsprosa (mein Spezialgebiet), Vetternwirtschaft, konservative Zeitungsverlage, und das fiese Angeschleime gewisser KollegInnen. Mir fällt auf, dass ich die deutschsprachige Literaturszene, so sehr sie auch nerven kann, vermisse, seit ich mein Studium in Rom begonnen habe. Wir reden darüber, dass KunststudentInnen so oft Bonzen sind, weil Arbeiterkinder eher Medizin, Jura oder Ingenieurwesen studieren, um ihren Familien später einmal etwas bieten zu können. Kommt mir sehr bekannt vor. Wer trotzdem etwas Künstlerisches studiert, ist entweder mutig oder irre.
Puneh Ansari und Stefanie Sargnagel sind die lebendigen Beweise dafür, dass man in seltenen Fällen auch mit Rückgrat und ohne Heuchelei einen Verlag finden und sich als Künstlerin etablieren kann. Für die deutschsprachige Literaturszene, die immer noch von alten geifernden Säcken beherrscht wird, gibt es also doch noch Hoffnun‘.
PS: Wenn Farin Urlaub wirklich ihre Bücher gekauft hat, wie Stefanie Sargnagel in „Statusmeldungen“ behauptet, dann muss ich es auch tun. Gut, dass ich ein Stipendium habe.
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