„Domian Live“: Die Rückkehr des Talkshow-Seelsorgers

Das MKsche Gütesiegel: Schlechte Handyfotos, unbearbeitet.

Die Einen würden gerne eine Beschwerde über Jürgen Domians vermeintliche Sensationsgeilheit lesen, die Anderen halten ihn und seine Redaktion für Engel. Domian ist vor allem ein Moderator mit jahrzehntelanger Erfahrung, was man ihm sofort an den wohlformulierten, routinierten Interview-Antworten anmerkt. Das Interview findet man übrigens hier. Kostet aber Geld, weil irgendein DuMont-Erbe das ganz dringend braucht oder so.

Print ’s not dead (yet)

Es war ein bisschen seltsam, mit Domian zu sprechen, weil ich früher so oft seine Sendung gehört habe. Aber bei der Arbeit bin ich niemandes Fan. Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, findet man wahrscheinlich an jedem und allem irgendetwas, das man hinterfragen und kritisieren kann.

Die alte Sendung lief im Radio und Fernsehen von 1 Uhr bis 2 Uhr nachts. Am 8. November 2019 war die Premiere von „Domian Live“. Ähnliches Konzept, aber humane Sendezeit, nämlich von 23:30 Uhr bis 0:30 Uhr. 20 Jahre lang mitten in der Nacht zu arbeiten kann ja auch einfach nicht gesund sein. Selbst die härtesten Grufties brauchen ab und zu etwas Sonnenlicht.

Was man im Fernsehen nicht sieht: Trotz des Namens handelt es sich nicht um eine One Man Show. Kameraleute, Aufnahmeleitung, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich um die Gästeliste kümmern, AssistentInnen, deren Mobiltelefone mit ihren Körpern verwachsen zu sein scheinen. Die meisten MitarbeiterInnen sind jung und wirken ein wenig nervös.  Die Einrichtung des Studios in den WDR Arkaden ist eine Mischung aus amerikanischem Comedyclub und europäischem Dorf-Stripclub. Domian Live ist für alle ein „Überraschungsei“, da weder der Moderator, noch das Publikum weiß, welche Gäste und Geschichten sie erwarten. Das stelle ich mir wahnsinnig stressig vor. Jedenfalls für die, in deren Verantwortung es liegt, eine erfolgreiche Sendung zu produzieren. Die Gesprächszeit ist auf 13 Minuten pro Gast festgelegt. Wenn die Zeit abläuft, wird der Aufnahmeleiter nervös. Einmal versucht er, ein Gespräch durch Klatschen abzuwürgen, was den Rest die ZuschauerInnen ein wenig irritiert.

Aber nun zurück zur Ausgangsfrage: Ist Domian einfach nur jemand, der Tabus brechen will, um aufzufallen? Eher nicht. Natürlich ist Bullshit immer gut für die Quote und da freut sich der WDR. Natürlich melden sich auch Selbstdarsteller, die unbedingt ins Fernsehen wollen. Aber Gespräche über angeblich Unaussprechliches erweitern unseren Horizont. Das infoffizielle Motto der alten wie neuen Domian-Sendungen lautet: Alles ist erlaubt, solange es niemandem schadet. Sollen doch alle ihre bescheuerten Hobbies, Fantasien und Fetische ausleben, solange sie es niemand anderem aufzwingen. Außerdem lernt man eine Menge über Erkrankungen, von denen man noch nie was gehört hat und bekommt manchmal Meinungen um die Ohren gepfeffert, die man überhaupt nicht teilt. Beides sehr nützlich für die soziale Kompetenz. Eine Unterhaltungssendung, bei der man etwas lernt, erreicht sicher mehr Leute als der erhobene Zeigefinger und die Predigt von Toleranz.