
In Italien ist Weihnachten ein Extremsport. Während ich in Deutschland keine Probleme hatte, die eher zurückhaltend formulierte Frage „Und was machst du so in den Ferien?“ zu beantworten, fragen mich italienische KommilitonInnen geradeheraus, warum ich nicht längst zu meiner Familie heimgeflogen bin. Ich habe inzwischen gemerkt, dass „Funkstille, tot, herz- oder geisteskrank“ eine zu ehrliche Antwort ist für das römisch-katholische Gemüt. Die ItalienerInnen nehmen christliche Feiertage verdammt ernst. Erstens, weil man da frei hat. Zweitens, weil sich fast jede Feier mit zu viel Rotwein und Tiramisu ertragen lässt. Drittens: „Wir haben den Vatikan; wir haben den Paaaapst!“ (Das heulte meine ehemalige Mitbewohnerin in Bologna, als sie die Nachrichten zu den Paris-Attentaten im Fernsehen sah. Die Frau hat, äh, Prioritäten.) Unser Portier (ja, im Ghetto braucht man das und ja, er sortiert auch unsere Post) lässt gerade eine sperrige Krippe im Foyer aufbauen. F. ist derweil sehr skeptisch gegenüber der „Joseph“-Figur, weil Joseph im Islam Marias Vater ist oder so. Jedenfalls hatte Maria keinen Herrenbesuch und Jesus ist auch nur ein Prophet und nicht Gottes Sohn. Das würde Gott ja vermenschlichen. Damit haben die Römer natürlich kein Problem, die vermenschlichen Götter in ihren Sagen seit abertausenden von Jahren. Dieses Jahr feiert meine Kleinfamilie jedenfalls ausschließlich Bacco, den Gott des Weines.





Gewisse Menschen (AP, Björnibjörn und F.) werden das jetzt wieder zum Anlass nehmen, mich als Vogelbaby zu bezeichnen: Seit ich dieses Blackberry habe, kann ich scharfe Handyfotos machen und nutze das gelegentlich zur Vogelbeobachtung. Gut, dass ich im Biounterricht so selten aufgepasst habe! Das hat meine Begeisterungsfähigkeit für irgendwelche herumlungernden Tiere erhalten. Diese Halsbandsittiche haben eindeutig die Schnauze voll vom Wetter in Europa. Übrigens war es mir auch neu, dass unser Campus im Winter so tropisch aussehen kann. Ich wünschte, ich könnte einfach jedes Jahr in Italien überwintern und im Frühling nach Deutschland zurückkommen.
Wie sehr das Wetter Menschen beeinflusst, sieht man an dem kulturellen Unterschied zwischen Nord- und Süditalien. Städte wie Mailand, Venedig und Bologna sind gut organisiert; da kommen auch Leute klar, die bisher nur in West- und Nordeuropa gelebt haben. Je weiter man gen Süden zieht, desto chaotischer wird es. Zuerst hat es mich extrem genervt und gestresst. Aber man verabredet sich dann eben nicht für acht Uhr sondern „irgendwann abends“ und man geht in die Vorlesung, falls die Tram kommt, die Professorin erscheint, die Vorlesung nicht spontan ausgefallen ist… Ich hatte mich auch eigentlich für Politik eingeschrieben und bin bei Jura gelandet, aber egal. Es kütt wie es kütt, sagen die Kölner und die haben das ganz bestimmt von den Römern gelernt.


In Italien gilt, wie die weise AP einmal sagte: „Es gibt Regeln für alles und keiner kennt oder beachtet sie.“ Während die Administration an der Sapienza Satan persönlich ist, kann man der akademischen Lehre ihre hohe Qualität nicht absprechen. Zivilrecht unterrichtet der Präsident der italienischen AnwältInnenkammer persönlich, wenn er nicht im Gericht oder auf Reisen ist; dauernd gibt es irgendwelche Gastprofs aus Cambridge, Oxford, Yale, Harvard, jede Namedropping-Uni ist dabei. Neben der Lehre gehören die Kunst und die Fressalien zu meinen Favoriten aus der italienischen Kultur. Andererseits muss denen jemand dringend mal erklären, was Brot ist. Ernsthaft. Aber solange es hier kein Brot gibt, esse ich eben Törtchen.



Wer glaubt, ich würde beim Verkehrschaos übertreiben, braucht sich nur mal am Porta Maggiore umzuschauen: Stau, Blaulicht und ein alter Mann steht mitten in der Tür der überfüllten Tram, über die AusländerInnen fluchend, weil die Tram „wegen denen“ voll sei. Nicht, weil die letzten vier Bahnen ausgefallen sind oder so. Natürlich sind wir AusländerInnen schuld. „Erst kommen die Schwarzen hierher und jetzt auch noch die Weißen“, plärrte mich mal eine verbitterte alte Frau an, weil sie dachte, ich sei Engländerin und verstehe sie nicht. Ich geh ja schon, ich geh ja schon. Aber vermiesen konnten mir die paar Faschos nichts. F. und ich wären sicher länger geblieben, hätten wir nicht deutlich bessere Arbeitskonditionen in Deutschland. Langfristig geht einem die völlig absurde Bürokratie, die Wohnungs- und Jobmarktmafia sowie das tägliche Verkehrschaos mit pausenlosem Ambulanzgeheule ziemlich aufs Gemüse.


Wenn die Jura-Klausuren geschafft sind, werden F. und ich Italien verlassen. Es ist ein wunderbares Land für Reisen, Urlaub, Sinnsuche. Zum Wohnen bevorzuge ich immer noch Westeuropa, außer im Winter. Als nächstes stehen auf der Liste: Brüssel, Wien, Genf, Prag, Moskau und Tokio. Ich habe keine Ahnung wie wir das bezahlen sollen, aber bisher hat’s immer irgendwie geklappt.

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